Mittwoch, 28. September 2011

Kurz und gut.

Warum ich Kurzfilme mag?
Es ist eigentlich ziemlich einfach: Die Zeit fehlt.
Die Zeit, die die Figuren brauchen, um sich entwickeln zu können. Die Zeit, die der Zuschauer braucht, um sich an den Stil und die Handschrift des Regisseurs zu gewöhnen bis hin zu der Stelle, an der ihm der Schauplatz und das Milieu des Films vertraut sind, er auf der innerfilmischen Ebene denkt und fühlt.
Der durchschnittliche Kinofilm bedient sich im Grunde genommen einer durchaus strikten Dramaturgie, die der Kurzfilm offensichtlich so nicht in der Lage ist zu adaptieren. Aber genau dieser vermeintliche Nachteil oder Mangel, die knapp bemessene Zeit, entpuppt sich als sein wertvollstes Elixier.

Meine wärmste Empfehlung ist das Magazin KurzSchluss auf ARTE. Es wird zu später Stunde ausgestrahlt, ist aber unglaublich sehenswert.
Viele Geschichten auf engstem Raum. Da verliert man hin und wieder den Überblick, den selbstverständlich jeder gerne behalten will. Einleitende Backstories sind aufgrund der begrenzten Zeit eher selten bis schlichtweg gar nicht vorhanden. Ein richtig konventionelles Ende kommt übrigens auch äußerst selten vor. Die Kurzfilme dürfen, oder besser gesagt die Regisseure trauen sich genau das, was im Kino mittlerweile verpönt zu sein scheint oder nur unter lautstarkem Protest und dem aufkommenden Vorwurf der mangelnden Ideen für einen ordentlichen Abschluss, eine exakte Schlusslinie, geduldet wird. Schlicht und einfach aufhören und den Abspann setzen, ohne die Erklärung abzuliefern, ohne dem Protagonisten den langersehnten Glücksmoment vor die Füße zu werfen oder die Misere durch Tod, Geldsegen oder endlich einkehrenden Familienfrieden zu erlösen.
Kurzfilme sind vergleichbar mit einem Kurzaufenthalt in einer fremden Stadt, in der uns die Orientierung fehlt und wir trotz Kulturschock und einer Sprache, die wir kaum verstehen, den Aufenthalt genießen und aufregend finden. Wir kennen die Menschen kaum, weder ihre Vergangenheit noch ihre Eigenarten und trotzdem gelingt es, sich einen Eindruck verschaffen zu können. Ein Atemzug reicht aus, um das was in der Luft liegt aufzuspüren, ohne Halt gebendes Hintergrundwissen, das uns auf subtilste Art und Weise zu manipulieren versteht.
Wie so oft rennt die Zeit, wir treten die Rückreise an, die Bilder aber bleiben im Kopf. Sie bleiben weitaus länger, als uns die tatsächliche Dauer des Aufenthalts vermuten lässt.
Eigentlich hat sich der Kurzfilm, besonders seit den 90er Jahren, längst etabliert. Schließlich ist er das Ergebnis der ersten filmischen Gehversuche, bei denen sich die Filmpioniere erfolgreich darum bemühten, Alltagsszenerien auf Zelluloid zu bannen.
Trotzdem ist es schade, dass Kurzfilme immer noch ein rares Gut im heimischen Fernsehprogramm darstellen. Es gibt zumindest in Deutschland unzählige Kurzfilmfestivals und, soweit ich weiß, sind besonders die Franzosen darum bemüht, dieser besonderen Art des Geschichtenerzählens ein größeres Präsentationsspektrum zu bieten und die jungen Filmemacher durch Fördergelder zu unterstützen.

Zeitmangel ist ja für uns Menschen momentan wieder das große Thema. Der Kurzfilm dagegen zehrt davon, es ist das, was ihn in erster Linie ausmacht und im positivsten Sinne prägt.
Es ist geradezu paradiesisch und utopisch: Die Vorstellung, man könnte den heimtückischen Werbepausen im Fernsehen ein Ende setzen und stattdessen einen großen Teil der Wirtschaft mit der Ausstrahlung von Kurzfilmen strafen.
Dann müsste man die wenige Zeit die vom Tage übrig bleibt zumindest nicht mit bunten Werbeblöcken verschwenden.
Denn dafür ist das Leben eigentlich zu kurz.

                                        

Sonntag, 25. September 2011

Ophelia

Kontroverse hin oder her, am 6. Oktober ist es endlich soweit. Meine Erwartungen sind hoch und ich bin gespannt, auch weil es heißt, der Film sei zu schön geworden, so lautet zumindest das für von Trier angeblich vernichtende Urteil vieler Zuschauer und Kritiker.

 

Mit seinem letzten Film Antichrist, einer ausgewogenen Mischung aus Horrorfilm und Psychothriller, gebettet auf dem erdigen Boden eines nebligen Märchenwaldes, wusste er wie so oft durch verstörende Bilder zu provozieren, zeigte aber gleichzeitig auch unglaublich schöne und ästhetische Einstellungen, vielleicht sogar die schönsten die ich während der letzten Jahre auf dem Bildschirm -und leider nicht auf der Kinoleinwand- sehen durfte.

In Melancholia zitiert von Trier das berühmte Gemälde Ophelia (1851-1852) von John Everett Millais.
















There is a willow grows aslant a brook,
That shows his hoar leaves in the glassy stream;
There with fantastic garlands did she come
Of crow-flowers, nettles, daisies, and long purples
That liberal shepherds give a grosser name,
But our cold maids do dead men's fingers call them:
There, on the pendent boughs her coronet weeds
Clambering to hang, an envious sliver broke;
When down her weedy trophies and herself
Fell in the weeping brook. Her clothes spread wide;
And, mermaid-like, awhile they bore her up:
Which time she chanted snatches of old tunes;
As one incapable of her own distress,
Or like a creature native and indued
Unto that element: but long it could not be
Till that her garments, heavy with their drink,
Pull'd the poor wretch from her melodious lay
To muddy death.

- Shakespeare, Hamlet, 1603 -

Freitag, 16. September 2011

Momentaufnahmen

Es gibt Filme, die uns einen Moment lang vergessen lassen, wer wir sind, die unsere Vorgeschichte ausblenden und die Gegenwart durch die filmische ersetzen. Die das Leben für einen kurzen Augenblick in ein anderes Licht rücken, vielleicht sogar ins rechte Licht rücken
Ich mag vor allem die ruhigen und die leisen Filme, die ihre Worte mit Bedacht wählen und sparsam mit ihnen umgehen, ihre Bedeutung nicht unterschlagen oder sie als Lückenbüßer missbrauchen. Selbst wenn das Gewicht auf Wort und Sprache liegt, dann darf es gerne lebensnah sein. 
Ich gestehe, dass ich minutenlange Stille während eines Films manchmal sogar als unangenehm empfinde. Vielleicht lässt sich das auf unsere Gewohnheiten zurückführen. Das Mainstream-Kino, auf das sich bequem alle Schuld schieben lässt, ist voll von sekündlich wechselnden Sinneseindrücken. Wir werden überrannt, Fluchtversuche sind zwecklos, was uns bleibt ist eine letzte Chance: uns immer tiefer in den Kinosessel zu vergraben. Die Hände vor die Augen oder an die Ohren. Etwas hören oder etwas sehen, vom groben Geschehen auf der Leinwand, eines von beidem tun wir doch sowieso.
Wir setzen uns also auf den uns zugeteilten nummerierten Sessel, das Gesicht im besten Falle stets der Leinwand zugewandt. Nach gut zwei Stunden verlassen wir unser dunkles und demzufolge sicheres Terrain und müssen uns, in den ersten Sekunden noch vom grellen Licht geblendet, wieder mit dem eigenen Leben zufrieden geben. 

Ich hoffe, dass es die leisen Filme immer geben wird. Sie melden sich oft dann zurück, wenn wir es am wenigsten erwarten. Im Alltag, ganz laut und ganz plötzlich. Dann erinnern wir uns vielleicht wieder an den einen Abend im Kino. Und für einen kurzen Moment geben wir unser Leben erneut ab, in die pflichtbewussten Hände des Filmvorführers, der mit geschulten Handgriffen dafür sorgt, dass wir für ein paar Minuten alles um uns herum vergessen dürfen.

  
Why do we sit so close?
Maybe it was because we wanted to receive the images first...
when they were still new, still fresh...
before they cleared the hurdles of the rows behind us...
before they'd been relayed back from row to row, spectator to spectator...
until worn-out, secondhand, the size of a postage stamp
it returned to the projectionist's cabin.
Maybe, too, the screen really was a screen.
It screened us from the world.


aus Bertoluccis The Dreamers, 2003

Dienstag, 13. September 2011

Ruhe

  


"Aber das Wesen des Menschen ist unbeständig, und leicht vergißt er,
          was er sich nächtens mit geballter Faust geschworen."

                 Robert Schneider, Schlafes Bruder, 1992

Montag, 12. September 2011

Kurz vor knapp...

...aber nun endlich spruchreif: die Wohnung in der Neustadt.
   Die Freude ist groß, die Erleichterung größer!


Flut

"Er hatte auf Ferienreisen vom Süden kaum genippt, kannte die rauhe, die 
    blasse See und hing daran mit kindlichen, schwerfälligen Gefühlen, ..."
                   Thomas Mann, Der Zauberberg, 1924



Dienstag, 6. September 2011

Grenzgänger

„Ich reihe lieber Szenen und Bilder aneinander, die ich in meinem Kopf habe. Alles andere gibt es schon seit hundert Jahren und wird akzeptiert. Charaktere und Geschichten sind essentiell, aber im Leben gibt es auch nicht die typischen Stories mit „Anfang“ und „Ende“. Für mich gibt es keine Tabus. Wenn es ein Tabu gäbe, dann sollte man es brechen. Menschen brechen in ihren Köpfen ständig Tabus, deswegen sollte man sich auch nicht davon abhalten lassen, diese in Filmen zu brechen.“

Harmony Korine, vielleicht das moderne Enfant terrible, tut was er kann, um unsere Köpfe mit Traumata und Schwindel zu füllen, zu verstören oder zumindest zu verwirren. Er ist ein wahrer Grenzgänger, wenn es denn filmische Grenzen überhaupt gibt. Man fragt sich, ob das, was man gerade gesehen hat, moralisch vertretbar ist. Die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion fällt schwer. Viele seiner Sequenzen wirken dokumentarisch oder auch amateurhaft, aufgenommen mit dem kompakten Camcorder aus den frühen 90er Jahren.
Was unterm Strich dabei herauskommt? Collagenhafte, irritierende Bildfetzen und ein ganzer Haufen eigenwilliger, ziemlich schräger Persönlichkeiten. Das alles wird auf eine Schnur aufgefädelt, um den faltenfreien, pulsierenden Hals des Zuschauers gelegt und manchmal ein bisschen fester zugeschnürt, als er es gewohnt ist. 
Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht genau, ob ich seine Filme letzten Endes gut finde oder eben nicht. Zumindest aber sind sie interessant, mutig und definitiv eine wahre Herausforderung für die Sehgewohnheiten.
Trotzdem hat Korine für mich in vielerlei Hinsicht absolut Recht. Ich kann manchmal die Aufregung nicht verstehen, die von gewissen Filmen herrührt. Tabubrüche im Kopf. Wer kann denn davon bitte kein Lied singen?

Verherrlichung, Verharmlosung, Vorbildfunktion. - Unter der Gürtellinie.
Geschichten erzählen. Das ist und bleibt für mich die Basis des Films, sein Grundgerüst, des Filmemachers Uranliegen sozusagen. Aber warum gehören dazu nicht auch die dunklen, die etwas unangenehmeren Geschichten? Keineswegs bin ich dafür, Unterhaltung und den so bequemen Mainstream aus der Kinolandschaft zu verbannen. Ich plädiere ganz einfach für mehr Offenheit. 
Niemand muss sich mit Lars von Triers cineastischen Leidensgeschichten oder Michael Hanekes nüchternen, aber dafür umso brillanteren Familientragödien und Gesellschaftsstudien auseinandersetzen. Wer es aber dennoch tut, dem sei nur ans Herz gelegt, sich darauf einzulassen. Es lohnt sich – in den meisten Fällen.
Warum wird die Verfilmung eines als Klassiker gehandelten Buches indiziert, wenn letzteres deutlich direkter, will heißen sprachlich absolut schonungslos, äußerst bildhaft und trotzdem durchweg sachlich Dinge beschreibt, die bis dato fernab meines Vorstellungsvermögens lagen und die Buchseiten vor lauter Gewalt, Demütigung und der maßlosen Schilderung menschlichen Leids fast aus dem Einband springen lassen. Der Film dagegen war nahezu leicht verdaulich.

Sicher, über einen Kamm scheren kann und sollte man die ganze Sache sowieso nicht, es ist und bleibt ein Balanceakt. Der Eine findet Gefallen, der Andere kann nicht ohne, der Dritte ist entsetzt. 
Werden denn bewegte Bilder, sobald sie sich ihren Weg durch die kahlen Büros der Zensurbehörden bis hin in den dunklen und deshalb für schwere Kost so viel angenehmeren Kinosaal gebahnt haben, automatisch zu einer Art stabilem Gerüst, an das sich Menschen klammern möchten, die nicht wissen wohin mit ihren Problemen. Werden wir dadurch inspiriert oder beflügelt? Oder erheben wir uns sogar völlig benebelt von unserem Kinosessel und machen uns augenblicklich auf den Weg nach Hause, um das soeben erlebte Trauma durch Konfrontation und Nachahmung zu verarbeiten? Wohl kaum. In dem Kino, von dem ich spreche, gibt es eben nicht das Silbertablett, das uns das glückliche Ende, die Antwort auf die Frage nach der Gewalt oder die makellosen Liebesgeschichten und Komödien serviert. 
Oder es existiert sogar doch, diesmal aber zweckentfremdet und in geheimer Mission: es hält uns den Spiegel vor unsere entsetzten Gesichter.

Sonntag, 4. September 2011

Streben

 "Heutzutage genügt es schon, wenn man Pläne hat. 
Nach der Verwirklichung fragt kaum noch jemand."
                     - Jacques Tati -  


Schlafes Bruder

16 Things You Didn't Know About Sleep
Via: Psychology Degree

Samstag, 3. September 2011

Stationen








Donnerstag, 1. September 2011

Das Meer

Ich schwelle in meiner Flut über die Erde.
Es wirft meine wilde Welle Tang an den Strand,
Muscheln, violette Quallen und kleine Seepferde.

Aber der Ekel zischt, daß ich mich gezeigt.
Ich krieche in mich zurück,
Und der Nordwind schweigt.

Ebbe ist ... Kinder gehen, sammeln, suchen
Und sehen Krabben, nasse Sterne,
Erstaunlichstes Getier.

Ich aber bin längst in der Ferne wieder bei mir.

Und was ich an den Strand warf, stirbt in der Luft
Oder in des Menschen Hand.-
Nur die Taschenkrebse graben sich
Mit ihren Scheren in den Sand.
Sechs Stunden warten sie bis zur nächsten Flut.-
Die Taschenkrebse kennen mich gut.

Klabund, 1927