Freitag, 16. September 2011

Momentaufnahmen

Es gibt Filme, die uns einen Moment lang vergessen lassen, wer wir sind, die unsere Vorgeschichte ausblenden und die Gegenwart durch die filmische ersetzen. Die das Leben für einen kurzen Augenblick in ein anderes Licht rücken, vielleicht sogar ins rechte Licht rücken
Ich mag vor allem die ruhigen und die leisen Filme, die ihre Worte mit Bedacht wählen und sparsam mit ihnen umgehen, ihre Bedeutung nicht unterschlagen oder sie als Lückenbüßer missbrauchen. Selbst wenn das Gewicht auf Wort und Sprache liegt, dann darf es gerne lebensnah sein. 
Ich gestehe, dass ich minutenlange Stille während eines Films manchmal sogar als unangenehm empfinde. Vielleicht lässt sich das auf unsere Gewohnheiten zurückführen. Das Mainstream-Kino, auf das sich bequem alle Schuld schieben lässt, ist voll von sekündlich wechselnden Sinneseindrücken. Wir werden überrannt, Fluchtversuche sind zwecklos, was uns bleibt ist eine letzte Chance: uns immer tiefer in den Kinosessel zu vergraben. Die Hände vor die Augen oder an die Ohren. Etwas hören oder etwas sehen, vom groben Geschehen auf der Leinwand, eines von beidem tun wir doch sowieso.
Wir setzen uns also auf den uns zugeteilten nummerierten Sessel, das Gesicht im besten Falle stets der Leinwand zugewandt. Nach gut zwei Stunden verlassen wir unser dunkles und demzufolge sicheres Terrain und müssen uns, in den ersten Sekunden noch vom grellen Licht geblendet, wieder mit dem eigenen Leben zufrieden geben. 

Ich hoffe, dass es die leisen Filme immer geben wird. Sie melden sich oft dann zurück, wenn wir es am wenigsten erwarten. Im Alltag, ganz laut und ganz plötzlich. Dann erinnern wir uns vielleicht wieder an den einen Abend im Kino. Und für einen kurzen Moment geben wir unser Leben erneut ab, in die pflichtbewussten Hände des Filmvorführers, der mit geschulten Handgriffen dafür sorgt, dass wir für ein paar Minuten alles um uns herum vergessen dürfen.

  
Why do we sit so close?
Maybe it was because we wanted to receive the images first...
when they were still new, still fresh...
before they cleared the hurdles of the rows behind us...
before they'd been relayed back from row to row, spectator to spectator...
until worn-out, secondhand, the size of a postage stamp
it returned to the projectionist's cabin.
Maybe, too, the screen really was a screen.
It screened us from the world.


aus Bertoluccis The Dreamers, 2003

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