„Ich reihe lieber Szenen und Bilder aneinander, die ich in meinem Kopf habe. Alles andere gibt es schon seit hundert Jahren und wird akzeptiert. Charaktere und Geschichten sind essentiell, aber im Leben gibt es auch nicht die typischen Stories mit „Anfang“ und „Ende“. Für mich gibt es keine Tabus. Wenn es ein Tabu gäbe, dann sollte man es brechen. Menschen brechen in ihren Köpfen ständig Tabus, deswegen sollte man sich auch nicht davon abhalten lassen, diese in Filmen zu brechen.“
Harmony Korine, vielleicht das moderne Enfant terrible, tut was er kann, um unsere Köpfe mit Traumata und Schwindel zu füllen, zu verstören oder zumindest zu verwirren. Er ist ein wahrer Grenzgänger, wenn es denn filmische Grenzen überhaupt gibt. Man fragt sich, ob das, was man gerade gesehen hat, moralisch vertretbar ist. Die Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion fällt schwer. Viele seiner Sequenzen wirken dokumentarisch oder auch amateurhaft, aufgenommen mit dem kompakten Camcorder aus den frühen 90er Jahren.
Was unterm Strich dabei herauskommt? Collagenhafte, irritierende Bildfetzen und ein ganzer Haufen eigenwilliger, ziemlich schräger Persönlichkeiten. Das alles wird auf eine Schnur aufgefädelt, um den faltenfreien, pulsierenden Hals des Zuschauers gelegt und manchmal ein bisschen fester zugeschnürt, als er es gewohnt ist.
Was unterm Strich dabei herauskommt? Collagenhafte, irritierende Bildfetzen und ein ganzer Haufen eigenwilliger, ziemlich schräger Persönlichkeiten. Das alles wird auf eine Schnur aufgefädelt, um den faltenfreien, pulsierenden Hals des Zuschauers gelegt und manchmal ein bisschen fester zugeschnürt, als er es gewohnt ist.
Ehrlich gesagt, weiß ich immer noch nicht genau, ob ich seine Filme letzten Endes gut finde oder eben nicht. Zumindest aber sind sie interessant, mutig und definitiv eine wahre Herausforderung für die Sehgewohnheiten.
Trotzdem hat Korine für mich in vielerlei Hinsicht absolut Recht. Ich kann manchmal die Aufregung nicht verstehen, die von gewissen Filmen herrührt. Tabubrüche im Kopf. Wer kann denn davon bitte kein Lied singen?
Verherrlichung, Verharmlosung, Vorbildfunktion. - Unter der Gürtellinie.
Geschichten erzählen. Das ist und bleibt für mich die Basis des Films, sein Grundgerüst, des Filmemachers Uranliegen sozusagen. Aber warum gehören dazu nicht auch die dunklen, die etwas unangenehmeren Geschichten? Keineswegs bin ich dafür, Unterhaltung und den so bequemen Mainstream aus der Kinolandschaft zu verbannen. Ich plädiere ganz einfach für mehr Offenheit.
Niemand muss sich mit Lars von Triers cineastischen Leidensgeschichten oder Michael Hanekes nüchternen, aber dafür umso brillanteren Familientragödien und Gesellschaftsstudien auseinandersetzen. Wer es aber dennoch tut, dem sei nur ans Herz gelegt, sich darauf einzulassen. Es lohnt sich – in den meisten Fällen.
Warum wird die Verfilmung eines als Klassiker gehandelten Buches indiziert, wenn letzteres deutlich direkter, will heißen sprachlich absolut schonungslos, äußerst bildhaft und trotzdem durchweg sachlich Dinge beschreibt, die bis dato fernab meines Vorstellungsvermögens lagen und die Buchseiten vor lauter Gewalt, Demütigung und der maßlosen Schilderung menschlichen Leids fast aus dem Einband springen lassen. Der Film dagegen war nahezu leicht verdaulich.
Sicher, über einen Kamm scheren kann und sollte man die ganze Sache sowieso nicht, es ist und bleibt ein Balanceakt. Der Eine findet Gefallen, der Andere kann nicht ohne, der Dritte ist entsetzt.
Werden denn bewegte Bilder, sobald sie sich ihren Weg durch die kahlen Büros der Zensurbehörden bis hin in den dunklen und deshalb für schwere Kost so viel angenehmeren Kinosaal gebahnt haben, automatisch zu einer Art stabilem Gerüst, an das sich Menschen klammern möchten, die nicht wissen wohin mit ihren Problemen. Werden wir dadurch inspiriert oder beflügelt? Oder erheben wir uns sogar völlig benebelt von unserem Kinosessel und machen uns augenblicklich auf den Weg nach Hause, um das soeben erlebte Trauma durch Konfrontation und Nachahmung zu verarbeiten? Wohl kaum. In dem Kino, von dem ich spreche, gibt es eben nicht das Silbertablett, das uns das glückliche Ende, die Antwort auf die Frage nach der Gewalt oder die makellosen Liebesgeschichten und Komödien serviert.
Oder es existiert sogar doch, diesmal aber zweckentfremdet und in geheimer Mission: es hält uns den Spiegel vor unsere entsetzten Gesichter.
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